Wer ein Gedicht nicht erleben kann, dem wird auch kein Erlebnis zum Gedicht werden. (Peter Sirius, 1858 - 1913)

Sonntag, 1. Juni 2014

Drachenlied - neues Gedicht über Akzeptanz und Toleranz

"Ein Lied*), das die alten Drachen immer dann singen, wenn die Jungdrachen ihre ersten, ungestümen und noch etwas wackeligen Flugversuche starten..."

http://www.infectedbyart.com/contestpiece.asp?piece=1744
Eragon und Saphira (© Christopher Paolini)
in einer Darstellung aus der Collectors Edition von Eragon, Bildzitat,
Quelle: http://www.infectedbyart.com/contestpiece.asp?piece=1744

Künstler: Ciruelo Cabral


Drachenlied

© 2014 by Samtpfote23pi@gmail.com


Wenn Du das Meer bist,
dann ebbe
und flute.
Versuch nicht,
die Grenze am Himmel
oder Wüste
zu sein. 

Bist Du ein Taucher,
dann tauche
tief ein.
Versuch nicht,
oben zu schwimmen
oder der Atem
zu sein.

Wenn Du ein Fels bist,
dann stehe
beständig.
Versuch nicht,
die Brandung
an der Klippe
zu sein.

Wenn Du ein Fluß bist,
dann fließe
und ströme,
Versuch nicht,
das Boot
auf den Wellen
zu sein.

Bist Du am Steuer,
dann weise
die Richtung.
Versuch nicht,
der Paddler
oder Ruderer
zu sein.

Wenn Du das Eis bist,
dann sei kalt
und spröde.
Versuch nicht,
wie Wasser
oder Wärme zu sein.

Bist Du das Feuer,
dann brenne
als Flamme.
Versuch nicht,
der Eimer
zum Löschen
zu sein.

Bist Du ein Vogel,
dann flieg frei
in den Himmel.
Versuch nicht,
wie Andere zu laufen
oder ein Kriecher
zu sein. 

 Bist Du die Katze,

dann schnurr
oder kratze.
Versuch nicht,
die Maus
oder ein Hündchen 
zu sein.

Wenn Du die Angst bist,
versteck Dich
oder fliehe.
Versuch nicht,
ganz mutig
oder ganz furchtbar
zu sein.

Wenn Du der Mut bist,
dann entschließe 
Dich tapfer.
Versuch nicht,
zu zweifeln
oder die Frage 
zu sein.

Bist Du ein Krieger,
dann beschütze
und kämpfe.
Versuch nicht,
zu strafen
oder Täter 
zu sein.

Bist Du die Rache,
dann tu es
und lache.
Versuch nicht,
die Güte
oder Vergebung 
zu sein.

Bist Du der Rebell',
dann trotze
und schreie.
Versuch nicht,
der Zwang
oder Sklave
zu sein.

Bist Du die Duldung,
erdulde
entschieden.
Versuch nicht,
das Opfer
oder die Schlachtbank
zu sein.
 
 Bist Du der Sünder,
dann bete
und beichte.
Versuch nicht,
das Urteil
oder die Buße 
zu sein.

Bist Du die Fülle,
dann gib her
und teile.
Versuch nicht,
zu rechnen
oder huldvoll
zu sein.
 
Wenn Du ein Orkan bist,
dann wehe 
und wüte.
Versuch nicht,
zu fächeln
und sanfte Brise
zu sein. 

Wenn Du die Kraft bist,
dann nutze
die Stärke.
Versuch nicht,
die Reue
oder hilflos
zu sein. 


Bist Du die Ohnmacht,
dann schrei
und hol Hilfe.
Versuch nicht,
tapfer zu dulden
oder edles Opfer
zu sein.

Wenn Du der Schmerz bist,
dann blute
und weine.
Versuch nicht,
zu schlucken
oder fröhlich
zu sein. 

Bist Du die Freude,
dann sprudle
und spende.
Versuch nicht,
zu halten
oder die Bremse
zu sein.

Bist Du die Seide,
sei sinnlich 
und weich.
Versuch nicht,
zu reizen
oder geizig
zu sein.

Bist Du die Sonne,
dann wärme
und scheine.
Versuch nicht,
die Nacht
oder der Tag
zu sein.

Wenn Du der Mond bist,
dann leuchte
im Dunkeln.
Versuch nicht,
der Stein
der anstößt
zu sein.

Bist Du ein Stern,
dann funkle
und strahle.
Versuch nicht,
der Abglanz
am Boden
zu sein.

Wenn Du das Nichts bist,
dann schweb
und lass los.
Versuch nicht,
mehr als Du bist
zu sein.

Wenn Du das All spürst,
dann bist Du
das All.
Dann ruh
in Dir selbst
und genieße
Dein Sein.

Und bist Du die Ruhe,
dann denke
und fühle.
Hör auf Dich selbst
und entscheid',
welche Farben
Du
der Welt zeigst.




*) Anmerkung der Autorin: 
Dieses Drachenlied könnte man auch als eine Mischform aus Mantra und Dharani bezeichnen. Wie ein Mantra hat es eine bestimmte Kernaussage. 

"Durch wiederholtes Rezitieren wird ein Klang/eine Schwingung erzeugt. Ein Mantra dient in der Regel als Instrument des Geistes zur Meditation. Ein Dharani ist eine Aussage über etwas Gelerntes bzw. über einen bestimmten Bewußtseinszustand. Es unterscheidet sich in der Funktion nicht vom Mantra, sondern höchstens in der Form. Es hat oftmals eine beträchtliche Länge. "(Gekürzte Info aus Wikipedia Mantra, Dharani ). 

Mantras haben einen eigenen Rhytmus und werden laut oder im Geiste rezitiert oder gesungen und dienen - wie Gebete - der spirituellen Weierentwicklung der Seele. 

PS: Die Drachen nennen dieses Lied <x°y~´°`~y°x> und sie singen es wie ein Gebet. Übersetzt heißt das in etwa Bewahrer des Gleichgewichts. Doch, wer, wie ich, schon mit Drachen zu tun hatte, der weiß sicherlich: Drachen kümmert es herzlich wenig, wie wir ihre Lieder bezeichnen. Sie tun einfach, wonach ihnen der Sinn steht. :-)


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